Freiheit und Individualismus – Freiheitsrechte

Was bedeutet Freiheit? Der Begriff unterliegt einem steten Wandel – umso wichtiger ist, dass einmal verdeutlicht wird, welche Aspekte einbezogen werden müssen, wenn Freiheit diskutiert wird.

Wir mussten tun, was wir tun wollten!

Keith Richards, Rolling Stones

Ganz zentrale Werte unserer Gesellschaft hängen eng mit Freiheitsbegriffen zusammen – darunter die Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, Bewegungsfreiheit, Freiheit der Kunst, Wissenschaftsfreiheit, Koalitionsfreiheit, Berufsfreiheit. Diese Werte sind so zentral, dass die sogar als Grundfreiheiten bezeichnet werden. Manchmal gerät es in den Hintergrund, auch weil viele dieser Freiheiten für uns heute selbstverständlich sind. Und doch stellen sie die Grundausstattung unser demokratischen Ordnung dar. Entsprechend tauchen Freiheitsbegriffe auch im Grundgesetz verschiedentlich auf.

Freiheit in der Verfassung – Freiheit im Grundgesetz

Der Stellenwert der Freiheitsrechte für unsere Gesellschaft schlägt sich auch in ihrer Nennung im Grundgesetz – unserer Verfassung – nieder. Artikel 1 bezieht sich auf die unveräußerlichen Menschenrechte und die unantastbare Würde des Menschen. Schon Artikel 2 garantiert das Recht auf Freiheit:

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Artikel 2 des Grundgesetzes

Und die Freiheit findet sich auch in Artikel 4 (Religionsfreiheit), Artikel 5 (Meinungsfreiheit und Pressefreiheit) und Artikel 8 (Versammlungsfreiheit). Freiheit nimmt einen hohen Stellenwert in unserem politischen System ein – aus diesem Grund sprechen wir auch von unser freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Verbunden sind die Freiheitsrechte aber mit Einschränkungen derselben. Denn die Freiheit des Einzelnen endet immer dann, wenn die Freiheit eines Anderen davon berührt und eingeschränkt wird. Das Abwägen der verschiedenen verfassungsmäßigen Rechte ist dementsprechend auch eine Kernaufgabe des Bundesverfassungsgerichts.

Freiheit in der Philosophie

Freiheit war schon immer eines der zentralen Anliegen der Philosophie, die Schule der Zyniker im alten Griechenland waren da keine Ausnahme. Bekanntester Vertreter ist wohl Diogenes, dessen Wohnstatt eine Tonne war. Seine Philosophie lag in der Freiheit von Bedürfnissen und äußeren Zwängen, die er aus seinem Leben zu verbannen suchte. Dazu erkannte er lediglich die elementaren Bedürfnisse nach Nahrung und Kleidung an – alle anderen Bedürfnisse seien eine direkte Folge gesellschaftlicher Konventionen, die er strikt ablehnte.

In der Philosophie wird Freiheit in der Regel als die Möglichkeit definiert, ohne Zwang zwischen unterschiedlichen Möglichkeiten auswählen und entscheiden zu können. Immanuel Kant spricht von der praktischen Freiheit und meint das Selbstverständnis eines vernünftigen Wesens, nach selbstbestimmten Prinzipien zu entscheiden und sich somit selbst als frei zu begreifen.

Auch Homer beschäftigte sich mit der Freiheit: Eine der bekanntesten Szenen aus der Odysseus-Saga: Odysseus vernimmt den Gesang der Sirenen, verstopft sich die Ohren mit Wachs und bindet sich selbst am Mast des Schiffes fest. Viele Interpretationen beschäftigen sich mit der metaphorischen Bedeutung der Sirenen. Stehen sie für Verlockung, für Weisheit, für göttliche Wesen? Interessant ist aber eigentlich die Aussage der Szene für den Freiheitsbegriff. Denn um seine Freiheit nicht zu verlieren, muss Odysseus sich selbst zwingen, den Stimmen nicht zu folgen. Er muss quasi seine Freiheit opfern, um seine Freiheit zu bewahren. Was wie ein antikes Paradoxon anmutet, erhält in der aktuellen Situation neue Nahrung. Heute empfindet ein kleiner Teil der Menschen es als übermäßigen Einschnitt in die Freiheit, wenn zum Wohle der Gesellschaft Masken zur Abwehr des Corona-Virus getragen werden müssen. Dieses geringe Opfer erscheint vor dem Hintergrund der Odysseus-Geschichte in neuem Licht. Und sie bringt uns zu einem wichtigen Unterschied, nämlich dem zwischen Freiheit und Individualismus.

Individualismus als ultimative Freiheit?

Tu, was Du willst, sei das einzige Gesetz

Buch des Gesetzes, Aleister Crowley (1904)

Hast Du Dich jemals gefragt, warum in den USA keine Kreisverkehre existieren? Die Antwort ist verblüffend: Zwar sorgt der Kreisverkehr für besser fließenden Verkehr, weniger Stau und weniger Unfälle. Gleichzeitig verlangt er von den Verkehrsteilnehmern aber Zusammenarbeit und gegenseitige Rücksichtnahme. Vielen Amerikanern gilt dies bereits als übermäßiger Einschnitt in ihre individuelle Freiheit und somit verdächtig sozialistisch. Spontane Kooperation fällt schwer, Reglementierung wird abgelehnt.

Der politische Individualismus anglo-amerikanischer Prägung erscheint somit aus kontinentaleuropäischer Sicht schon als übermäßiger Egoismus, denn es gilt: Meine individuelle Freiheit gilt auch dann, wenn sie die Freiheit eines Anderen einschränkt. Aleister Crowley ist der hauptsächliche Vertreter des extremen Individualismus, den er später zu seiner Thelema-Religion ausformulierte. In seinem Manifest Liber Oz bringt er das Prinzip wie folgt auf den Punkt:

Jeder Mensch hat das Recht, nach seinem eigenen Gesetz zu leben, […] zu essen was er will, […] zu denken, was er will, […] zu lieben, wie er will.
Der Mensch hat das Recht, jene zu töten, die ihm diese Rechte streitig machen wollen.
Die Sklaven sollen dienen.

Liber Oz, Aleister Crowley 1941

Dabei handelt es sich durchaus nicht um eine Randmeinung. Crowley gilt als großer Bewunderer der Bücher von Ayn Rand, die dieses Prinzip verdichten und bis heute als Standardwerke für republikanische Politiker gelten. Diese Geisteshaltung zeigt aber gleichsam die Grenzen des Freiheitsbegriffs, der in Europa und auch Deutschland diversen Schranken und gesetzlichen Regeln unterliegt, die in den USA strittig sind. So ist dann auch verständlich, warum in den USA regelmäßig aus europäischer Sicht unverständliche Diskussionen um Waffenbesitz, Krankenversicherungen und Arbeitslosenhilfe geführt werden – denn sie tangieren einen ganz wesentlichen Bestandteil der amerikanischen Kultur. Die Geisteshaltung der amerikanischen Republikaner, die sich unter der Führung Donald Trumps einem kaum noch verhohlenen Individualismus verschreiben, kann so besser verständlich werden.

Die Symbolik des Liber Oz erinnert außerdem frappierend an Zeichen der Q-Anon Bewegung.

Freiheit im Faschismus

Die Maßgaben des extremen Indivualismus wurden alsbald auch in politischem Umfeld aufgegriffen. Zwar gibt es keinen Beweis, dass Mussolini die Schriften Crowleys kannte, doch sind gewisse Ableitungen möglich. Denn aus Sicht von Crowley oder Rand setzen totalitäre Diktatoren wie Mussolini oder Hitler ihren Willen auf bewundernswerte Weise durch. So sind totalitäre Faschisten gleichzeitig absolute Individualisten, die maximale Freiheit genießen und teilweise auf ihre Anhänger übertragen. Die Freiheitsrechte der übrigen Menschen werden dafür allerdings maximal eingeschränkt, ihre Leben per se als wertlos eingestuft.

In der Theorie Crowleys folgt aus der maximalen individuellen Freiheit ein harmonisches Miteinander ohne jegliche Konflikte. Das Zusammentreffen mehrerer (psychopathischer) Individualisten hat indes fatale Folgen, wie wir spätestens seit dem schrecklichen zweiten Weltkrieg wissen.

Um es ganz deutlich zu machen: Der extreme Individualismus verkehrt die Freiheitsrechte des Einzelnen in ihr absolutes Gegenteil und sollte von jedem Menschen, der seine 7 Sinne beisammen hat, strikt abgelehnt werden. Und doch findet er nicht nur in Amerika weiterhin seine Anhänger, auch in den Parteiprogrammen europäischer Parteien findet er gelegentlich Niederschlag.

Nihilismus – Freiheit von Allem

Einen krasseren Gegensatz zwischen dem Individualismus und dem Nihilismus kann es wohl kaum geben. Nietzsche prägte den Begriff des Nihilismus als Ablehnung aller Normen und Werte, konnte sich dabei aber bereits auf die griechischen Sophisten um Gorgias beziehen.

Erstens: es gibt nichts; zweitens: wenn es auch etwas gäbe, wäre es doch für den Menschen unerkennbar; drittens: wenn es auch erkennbar wäre, wäre es doch unserem Mitmenschen nicht mitteilbar und nicht verständlich zu machen.

Gorgias, Sextus Empiricus, ca. 400 vor der Zeitenwende

Wenn Freiheit das höchste Lebensprinzip darstellt, so sind auch sämtliche kulturellen Werte abzulehnen. Nietzsche argumentiert den Nihilismus auch vor dem Hintergrund der zu seiner Zeit noch dominanten Religion, die Menschen mittels Furcht vor dem imaginären Jenseits in ein enges Wertekorsett zwängt. Dies sei der Grund für Angst, Schwäche, Sklavenmoral und Opportunismus. Die logische Folge des Nihilismus scheint zunächst eine innere Leere und Ziellosigkeit der Menschen zur Folge haben. das Gefühl von Sinnlosigkeit oder Absurdität, wie die Existenzialisten um Sartre es eindrücklich schildern.

Und doch entspringt aus dem Nihilismus das Positive: Seiner Existenz einen persönlichen Sinn zu verleihen, ist der Lebenszweck schlechthin. Dieser Sinn ist nicht vordefiniert und gleichsam höchstes Lebensziel.

Am Anfang steht jedoch die Tatsache, dass zwar Freiheit von Sinn, Moral und Werten herrscht, dabei aber die eigene Existenz keine Ausnahme bildet. Die eigene Überhöhung des Individualismus wird also in absoluter Form negiert.

Freiheit in der Politik

Nur eine deutsche Partei trägt die Freiheit im Namen – aus diesem Grunde wenden wir uns einmal der Freiheitlich Demokratischen Partei Deutschlands (FDP) zu. Was meint die FDP, wenn sie sich für Freiheit und Liberalismus stark macht?

Erstaunlicherweise ist auf der Internetseite der Partei dazu keine eindeutige Interpretation zu finden. Zwar wird dort betont, dass Liberalismus kein Egoismus sein soll, gleichsam wird aber die individuelle Entfaltung und wirtschaftliche Selbstverantwortung betont. Es drängt sich der Eindruck auf, dass die FDP hier kein klares Selbstbild hat.

Zum Zeitpunkt der Gründung war der Liberalismus als politische Bewegung in Deutschland in zwei große Lager gespalten: Der Nationalliberalismus betonte die Freiheitsrechte Deutschlands und verstand sich als rechtskonservatives Sammelbecken rechts der CDU. Zeitweise wurde dieser Standpunkt durch eine fortschrittlichere, Sozialliberale Form des Liberalismus überlagert. Der heute aktuelle Standpunkt lässt sich den Grundsatzpapieren entnehmen. In den “Karlsruher Freiheitsthesen” von 2012 heißt es:

Die Freiheit des Einzelnen ist Grund und Grenze liberaler Politik. Frei zu
sein heißt, das eigene Leben ohne fremden Zwang selbst bestimmen zu
können. Dafür schafft liberale Politik die Voraussetzungen: Chancen für
jeden einzelnen Menschen und Freiheitsordnungen für die offene
Bürgergesellschaft.

Jeder Mensch soll faire Chancen haben, sich gemäß der eigenen Talente
und Ideen zu entfalten, von eigener Arbeit zu leben und nach eigener
Façon glücklich zu werden. Das ist das Ziel liberaler Chancenpolitik:
Bildung und Befähigung von Menschen zu selbstbestimmtem Leben und
zur selbstbestimmten verantwortungsbewussten Teilhabe in Wirtschaft,
Politik und Bürgergesellschaft.

Karlsruher Freiheitsthesen (2012)

Das klingt toll, oder? Wie kann es aber sein, dass das realpolitische Bild einer Partei sich derartig von ihren grundsätzlichen Thesenpapieren unterscheidet? Während in den Thesen von Chancengleichheit und wirtschaftlicher Teilhabe die Rede ist, bemüht sich die FDP in der politischen Realität vornehmlich um Elitenförderung und Wirtschaftsliberalismus, fremdelt mit der Sozialen Marktwirtschaft moderner Prägung.

Meine Meinung dazu ist: Die FDP begeht permanenten Verrat an der Liberalen Idee, indem sie teilweise gegensätzlich zu ihren eigenen, wohlklingenden Grundsatzideen handelt. “Liberalismus für jene, die es sich leisten können” – das könnte die Grundaussage der realen FDP-Politik sein.

Sie wird dafür völlig zurecht mit drastischen Wahlniederlagen und Scheitern an 5% Hürden bestraft.

Freiheit bei Leibniz

Freiheit (lateinisch libertas) wird in der Regel als die Möglichkeit verstanden, ohne Zwang zwischen unterschiedlichen Möglichkeiten auszuwählen und entscheiden zu können.

Gottfried Wilhelm Leibniz unterscheidet hinsichtlich der Handlungsfreiheit zwischen liberté de droit als Freiheit von Zwang, durch die sich der Freie vom Sklaven unterscheidet, und liberté de fait als einer positiven Freiheit, durch die sich der Kranke vom Gesunden unterscheidet. Für Schelling ist Freiheit primär Willensfreiheit.

Freiheit im Anarchismus

Der Begriff des Anarchismus hat seit dem 19. Jahrhundert – seiner Hochzeit – eine bedeutende Wandlung erfahren. Heute wird darunter gemeinhin das Fehlen von Gesetzen und Regeln verstanden: Jeder kann tun, was er will, ohne dass er dafür Rechenschaft ablegen müsste.

Die Anarchisten des 19. Jahrhunderts waren indes vielmehr auf die Ablehnung politischer Strukturen aus. Sie verlangten kein Recht auf totale Freiheit, sondern das Recht, sich niemandem unterwerfen zu müssen. Eine ihrer bekanntesten Parolen lautete daher “Keine Götter, keine Herren!”. Das rückte sie für christlich konservative Zeitgenossen in gefährliche Nähe zum Satanismus. Denn der Teufel höchstselbst wurde aus dem Himmel vertrieben, nachdem er sprach: “Non serviam – ich werde nicht dienen.”

Die Zukunft ist bereits da. Sie ist nur nicht sonderlich gleichmäßig verteilt.

William Gibson (SciFi und Cyberpunk Autor)

Freiheit

Wie verbleiben wir nun also? Für welchen Freiheitsbegriff stehen wir ein? Drehen wir die Frage zunächst einmal um: Welche Freiheiten sind denn Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben in der aufkommenden Wissensgesellschaft?

Ökonomische Freiheit (economic freedom)

Ökonomische Freiheit ist die Freiheit von wirtschaflichen Zwängen.

Um extreme Verwerfungen zu verhindern, wie sie während des Übergangs in das Industriezeitalter auftraten, besteht die dringende Notwendigkeit, Menschen unabhängig von Arbeit zu machen. Arbeit darf nicht länger Voraussetzung sein, um ein menschenwürdiges Auskommen zu bestreiten. Die Lösung hierfür ist im ersten Schritt ein bedingungsloses Grundeinkommen.

Informationsfreiheit (informational freedom)

Informationsfreiheit ist die Freiheit für Daten und Informationen.

Wer hat Zugang, wem gehören die Informationen, wem gehört das Wissen? Teilhabe an der Wissensgesellschaft bedeutet auch, dass der Zugang zu Informationen nicht künstlich verknappt werden darf. Vielmehr sollen Informationen soweit wie irgend möglich öffentlich zur Verfügung stehen und der Zugriff nicht restriktiert sein. Andernfalls entstehen hier Barrieren, die eine volle Entfaltung der Möglichkeit der Informationsgesellschaft verzögern oder gar verhindern. Dies ist abzuwägen gegen das Persönlichkeitsrecht – jeder sollte die Wahl haben, in welchem Umfang er oder sie persönliche Informationen teilt.

Psychologische Freiheit (Psychological freedom)

Psychologische Freiheit ist die Freiheit von Angst und Zwang.

Diese Freiheit schränkt die individuelle Freiheit insoweit ein, als dass sie für Andere Menschen nicht zur Bedrohung werden darf. Aufklärung durch Bildung ist die erste Voraussetzung für diese Freiheit. Zentrale staatliche Aufgabe zur Wahrung der psychologischen Freiheit ist es, Bedrohungen von den Menschen abzuwenden. Dazu gehören Krankheiten, Klima-Vorsorge und Bedrohungen für den gesellschaftlichen Wohlstand. Positiv formuliert ist der gesellschaftliche Wohlstand zu mehren, der uns Raum für die Freiheiten verschafft. Investition in die Zukunft senkt die Unsicherheit und sorgt für eine freiheitlich orientierte Gesellschaft.

Links

In diesem Artikel werden verschiedene Quellen erwähnt, andere Quellen liegen dem Text zu Grunde. Hier die wichtigsten Quellen.

Grundrechte im Grundgesetz

Liber Oz

Karlsruher Freiheitsthesen

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